Ithaka
Wenn du zu Fahrt aufbrichst nach Ithaka.
So bete, dass ein weiter Weg es werde.
Voller Umschwünge, voller Einsichten.
Die Laistrygonen oder die Kyklopen,
Den zornigen Poseidon fürchte nicht,
Dergleichen triffst du nie auf deinem Weg,
solang dein Denken hoch bleibt und erlesene
Erregung dir an Geist und Körper rührt.
Den Laistrygonen oder den Kyklopen,
Dem wütigen Poseidon wirst du nicht begegnen,
Wenn deine Seele nicht vor dich stellt.
So bete, dass ein weiter Weg es werde.
Mögen der Sommermorgen viele sein,
Wo du – oh wie mit Dank, oh wie mit Freude!
Einfährst in Häfen, die du siehst zum ersten Mal.
Mögest du halten an den Handelsplätzen
Phönikiens und die schöne Ware kaufen:
Perlmutter und Korallen, Ebenholz und Amber
Und jeder Art erregende Duftflüssigkeit.
Mögest du gehen in viele Städte nach Ägyptenland,
Damit du lernst – und lernst von Eingeweihten.
Behalte stets Ithaka in deinem Geist.
Die Ankunft dort ist deine Vorbestimmung.
Doch haste mit der Reise nimmermehr.
Besser, sie daure vieler Jahre Lauf,
Und auf der Insel ankerst du als Greis,
An allem reich, was auf dem Wege du erwarbst,
Niemals erwartend, dass dir Reichtum schenkte Ithaka.
Ithaka schenkt dir die schöne Reise.
Zu ihm allein bist du hinausgefahren.
Verlange andre Gaben nicht von ihm.
Findest du’s arm, Ithaka trog dich nicht,
So weise, wie du wurdest, so erfahren,
Erkanntest du nun wohl, was Inseln Ithaka bedeuten.
Konstantin Kavafis

Ursprünglich aus dem Schwarzwald
In Mojácar seit 35 Jahren
Der Weg zu Andreas kleinem Haus unter dem Feigenbaum ist von intensivem Honigduft geprägt. Es ist Mandelblütenzeit, was bedeutet, dass Anfang bis Mitte Februar überall weiße und rosa Blütenwölkchen in der ansonsten eher kargen Landschaft Mojácars aufploppen und zu den Vorboten des Frühlings werden. Da Andreas direkt über einer Terrasse voller Mandelbäumen wohnt, laufe ich freudig schnuppernd die kurvige Straße hinauf bis ich zu einem Bambustürchen gelange, welches mir Eintritt zu seinem Reich gewährt.
Ich finde ihn in einem weißen Bus, seinem „Wintergarten“, wie er es nennt, der sich über den Tag von der Sonne aufwärmt und vom Wind geschützt ist. Hier liest er täglich den „El País“, spielt Schach mit sich selbst und wirft für Zula, seiner vierbeinigen Gefährtin, den Ball durch den Garten.
Als er auf meine Frage, warum er in Mojácar geblieben ist, antwortet, dass er einfach keinen besseren Ort gefunden habe, kann ich ihn irgendwie verstehen und muss an das Kinderbuch von Janosch „Oh, wie schön ist Panama“ denken, denn auch ich finde mit den Jahren und nach unzähligen Reisen immer mehr Gefallen an meinem Heimatdörfchen, aus dem ich als junger Mensch gar nicht früh genug entkommen konnte.
Bevor Andreas nach Mojácar kam, hatte er in Südwestengland gelebt. In erster Linie war er dorthin gezogen, um dem Wehrdienst in Deutschland zu entkommen und am College of Arts Kunst zu studieren, etwas später kaufte er dann in Dartmoor ein 400 Jahre altes Landhaus, um es von der Pike auf zu renovieren. Eigentlich ein schönes Leben, möchte man meinen, aber „das Wetter war halt beschissen“. Warum also nicht mal in den Süden ziehen? Seine damalige Freundin Nicole, deren Eltern zufälligerweise in Südspanien wohnten, hatte da schon eine Adresse. Wir ahnen, wohin die Reise ging.
Das gerade renovierte Landhaus verkaufte er prompt wieder und machte sich- wie auch sonst- in einem gelben VW-Bus auf nach Mojácar. Die Beziehung mit Nicole dauerte zwar nicht lange an „keine Beziehung hielt damals lange in Mojácar“, aber Andreas blieb vorerst dort (wie lange, war ihm damals wohl noch nicht klar) und eröffnete das „La Lagartija“, eine Bar mitten im Dorf, die schnell zu einem beliebten Treffpunkt mutierte.
Ansonsten ging er windsurfen oder malte Bilder von erotisch anmutenden Landschaftsstrichen „Es war wirklich eine saugute Zeit“, fasst er zusammen.

Und jetzt? Was ist von all dem geblieben? Mojácar, so scheint es, hat seine besten Jahre hinter sich und lebt nur noch von den alten Legenden und Geschichten der „golden years“. Fast wie zum Beweis stehen Andreas Gemälde etwas verstaubt neben dem Surfbrett in seinem Atelier, das mittlerweile nur noch als Lagerraum benutzt wird. Auch die Bar gibt es schon lange nicht mehr.
Nach diesen Gesprächen überkommt mich oft das Gefühl, zu spät zur Party gekommen zu sein, als wäre ich in dem Hamsterrad gefangen, welchem Andreas und Co. entkommen wollten. Aber wer weiß, vielleicht finde ich mein Mojácar, mein Ithaka, ja auch noch irgendwann.

Liebe Lea,
bei deinem Text über Andreas bleiben bei mir noch so viele Fragen offen: Und was macht er heute, wenn es die Bar nicht mehr gibt und auch sein Atelier nur noch ein Lagerraum ist? Ist er die ganze Zeit allein (geblieben)? Ist er glücklich? Und hast du ein Foto von dem weißen Wintergarten-Bulli?
Und ich wünsche dir sehr, dass du irgendwann dein Mojácar findest!
Muchos saludos, Kristin
P.S. Die Landschaften sehen wirklich erotisch aus. Sehr interessant. 😉
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Liebe Lea,
dieser Beitrag berührt mich sehr – und das Gedicht ist so toll. Das Gefühl, das Du beschreibst und den Wunsch, irgendwann selbst Dein Mocajar zu finden, kann ich so gut nachvollziehen.
Trotz all der Wehmut in Andreas‘ Geschichte, bleibt bei mir aber auch ein sehr schönes Gefühl: alles ist noch offen, jede Generation bricht von neuem auf zu einem Ort, der irgendwo darauf wartet, entdeckt zu werden. Es würde wahrscheinlich nicht funktionieren, am Sehnsuchtsort der vorherigen Generation sein zuhause finden zu wollen. Das ist ein beruhigendes Gefühl. Die Welt ist groß 🙂
viele liebe Grüße von Silke
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Liebe Lea, ich bin mir sicher, dass es so einen Ort für dich gibt. Bettina
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Liebe Lea,
»Being too late to the party«… das Gefühl habe ich auch manchmal. Wenn mir ältere Generationen zB. vom Berlin der frühen 90er erzählen, von besetzten Häusern und wilden Parties, dann fühlt sich im Vergleich heute alles so fertig an. Dieser Aufbruch, dieses »einfach machen, einfach sein« – ja genau, Haus kaufen, renovieren, verkaufen, mit dem Bulli einer Liebe hinterher, Spanien, Bar eröffnen… »gucken was geht« ohne getrieben zu sein vom Selbstanspruch oder dem Vergleich mit anderen oder was auch immer. Sind dir Orte wie das »alte Mojácar« auf deinen Reisen in der Welt begegnet?
Lieben Gruß, Lisa
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Liebe Lea,
was für ein schöner Beitrag. Er hinterlässt auch bei mir viele Gedanken und Fragen, vielleicht am meisten an mich selbst. Manchmal denke ich, man weiß erst, wo man zuhause ist und wo man bleiben möchte, wenn man es gefunden hat. Und das heißt ausprobieren, etwas wagen.
Ich bin gespannt, wohin uns unsere Wege noch führen.
Liebe Grüße
Carolin
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Liebe Lea,
Ich finde die Geschichten hier immer super spannend zu lesen! Schön hier ist nicht nur die Geschichte, sondern auch deine Beschreibung des Wegs zu A.- inklusive der Mandelbäume, die ich mir traumhaft schön vorstelle 🙂 Irgendwie hatte ich so das Grundgefühl, dass für einige Mojacar „seine besten Zeiten hinter sich gebracht hat“, wie du hier schreibst, für einige der bisher Interviewten ebenfalls relevant ist. Spannend. Klingt aber auch ein bisschen schade, wenn die ehemals lebendigen Gebäude nun weniger gefüllt sind. Trotzdem schön, dass scheinbar einige dort ein Zuhause gefunden haben.
Liebe Grüße
Jasmin
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Liebe Lea, deine Geschichte hat mich berührt in ihrer süßen Melancholie, ich seufze, sehne mich nach einem solchen Wintergarten, einer Kneipe am Ort. Danke dir. Auch für die Erinnerung an Kavafis, den ich immer wieder mag. Liebe Grüße, Dorothee
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